Das Feuer knistert im Kamin. Draußen hält der Reif alles fest im Griff, es ist eisig kalt und längst dunkel. Hinter mir die Kinder und die H.O.F.mates beim gemeinsamen Spieleabend, lachen, streiten, diskutieren aufgeregt und lautstark. Unser Kleinster schläft zufrieden eingenistet unter einem Berg aus Decken, Bilderbüchern und Kuscheltieren. Drei Kerzen brennen am Adventkranz, die Weihnachtsdekorationen, die die Kinder die letzten Tage gebastelt haben leuchten bunt und festlich. Es riecht nach Bratkartoffeln und Wintertee.
Ist das das neue Biedermeier?
Das hat mich vor längerer Zeit einmal ein Journalist gefragt, der eine Reportage über Leben ohne Schule gemacht hat.
Das hat mich vor längerer Zeit einmal ein Journalist gefragt, der eine Reportage über Leben ohne Schule gemacht hat. Damals musste ich herzhaft darüber lachen, heute ist mir dieses konservativ-romantische Klischee wieder eingefallen. Leben wir in dieser rosaroten Blase, in der die Kinder fernab von unserer modernen Zivilisation realitätsfremd und weitab von gesellschaftlichen Machtgerangel aufwachsen? Ja, bis zu einem gewissen Grad.
Es wird bei uns niemand mit jemand anderem verglichen, es gibt keine Drohungen, Strafen, Belohnungen. Die Kinder kennen kein Schneller-Höher-Weiter. Es gibt stattdessen natürliche Konsequenzen und Regeln, die für alle am H.O.F. gleichermaßen gelten und die jederzeit gemeinsam geändert oder angepasst werden können. Jeder hat viel Raum für sich, viele Freiheiten, von denen andere Kinder und Jugendliche meist nur träumen können.
Es gibt keinen Wecker, jeder schläft so lange, wie er möchte. Niemand muss etwas tun, was er nicht tun will – es sei denn, er oder sie hat sich zuvor dazu verpflichtet oder schadet irgendjemanden mit seinem Nicht-Handeln. Keiner hat einen Stunden-, Tages- oder Wochenplan.
Die reinste Anarchie? Laissez-Faire vom Schlimmsten? Kinder an der Macht?
Nichts von alledem. Im Gegenteil.
Die Kinder wissen, dass wir ihnen vollkommen vertrauen. Sie wissen, dass sie geliebt werden, ohne Bedingung. Immer. Sie wissen auch, dass wir an sie und ihren inneren Entwicklungsplan glauben, daran glauben, dass sie das Beste geben. Jederzeit. Wir sind für sie da, wenn sie uns brauchen. Wir helfen ihnen dabei, ihre Probleme zu lösen, wenn sie Hilfe wollen. Darüber hinaus wissen wir, dass sie kompetent sind, ihre Konflikte selbst zu lösen. Wir sehen, wie sie tagtäglich über sich hinauswachsen.
Wir haben uns erlöst vom Dasein der allwissenden, mächtigen Eltern, wir erlauben uns unsere Kinder zu genießen, uns am Zusammensein zu freuen. Wir leben gemeinsam, wir lernen zusammen, unterstützen uns gegenseitig, jeder, so gut er kann. Die Kinder machen daher ihre Arbeiten gerne, weil sie die Wahl haben. Sie wissen, sie müssen nicht, aber sie wollen meistens. Denn sie wollen Teil des großen Ganzen sein, wollen dazu gehören, wollen Verantwortung übernehmen und wichtig sein. Das ist zutiefst menschlich, natürlich und angeboren.
Sind wir naive Gutmenschen?
Ja. Und das gerne. Ich sehe das auch nicht als Schimpfwort, genauso wenig wie ich alternativ als Beleidigung sehe. Sondern eher als Möglichkeit. Wie wunderbar ist es doch, eine Alternative zu haben, seinen eigenen Weg zu gehen. Sind nicht die meisten von uns ein Leben lang auf der Suche nach sich selbst? Was, wenn wir uns gar nie verloren hätten, immer ganz bei uns geblieben wären?
Ich glaube aus vollstem Herzen an das Gute im Menschen. Ich glaube auch daran, dass wir alle wieder in unsere Verantwortung gehen müssen. Zu einfach ist es, die Eigenverantwortung für alles abzulegen, angefangen bei Kinder“erziehung“, weiter bei der Zerstörung und Ausbeutung unserer Umwelt und aufgehört bei meiner eigenen Glückseeligkeit. Wer außer mir ist denn für mein Handeln verantwortlich? Wer hat denn das Recht, mir zu sagen, was richtig oder falsch sei?
Jeder trägt Verantwortung für sein eigenes Leben und muss die Konsequenzen seiner Entscheidungen tragen. Aber ich kann mich entscheiden, wie ich leben möchte. Ich bin der Meister meines Daseins. Das ist es, was wir den Kinder vermitteln wollen. Daher fangen wir bei uns an. Niemand hat je gesagt, dass es leicht sein würde, aber am Ende des Tages kann ich mich im Spiegel anschauen und meinen Kindern in die Augen sehen und aus vollstem Herzen sagen, dass ich das getan habe, wovon ich überzeugt war.
Auf diesem Weg gibt es nur Lernen. Kein Scheitern, keine Fehler, kein Versagen.
Ein kleines Stück davon gehen unsere Kinder an unserer Seite. Das ist das Geschenk.
Heimkommen, zur Ruhe Kommen, Ankommen. Ad-Vent.
Karin Siakkos
erstmals veröffentlicht auf mitanandahof.com