Das ABC des natürlichen Lernens – F

Freilernen – ein Begriff, der häufig viele Fragen offenlässt. Das ABC des natürlichen Lernens sammelt und erklärt die wesentlichen Begriffe des Freilernens.

HEIDRUN KRISA & SUSANNE SOMMER

 

F wie Freiwilligkeit

Dieses schöne Wort setzt sich aus zwei Teilen zusammen: frei und Wille. Es braucht einen eigenen Willen und somit das Wollen und das Freisein, um etwas zu tun. Die Freiwilligkeit ist eine weitere Hauptzutat beim Freilernen und die Voraussetzung dafür, dass es gelingt. Durch jede Form von Druck geht sie verloren. Wenn wir jungen Menschen Angebote machen, die ihren Interessen entsprechen, muss die Freiwilligkeit, die Angebote anzunehmen oder auch abzulehnen, gewahrt bleiben. Wir haben die Beobachtung gemacht, dass sich Erwachsene schwer damit tun, den jungen Menschen diese absolute, echte Freiwilligkeit in ihrem Tun zuzugestehen. Eine einleuchtende Erklärung dafür ist, dass sie selbst als junge Menschen nie diese Freiwilligkeit erleben durften. Es mag sogar schmerzhaft oder mit Wehmut verbunden sein, diese Freiwilligkeit bei anderen zu sehen. Es regt sich dann die Stimme unseres inneren Kindes: »Ich musste schließlich auch. Mich hat auch keiner gefragt, ob ich das will!« Und es kommt Neid auf: »Warum darf er wählen, wenn ich es doch nicht durfte?« Indem wir junge Menschen dabei unterstützen, ganz auf sich selbst zu hören, dürfen auch bei uns diese Verletzungen sukzessive heilen. Indem schon junge Menschen ihre eigenen Entscheidungen altersangepasst treffen, entwickeln sie ein ganz anderes Gespür dafür, was ihnen guttut und was nicht. Sie bleiben mit sich und ihren inneren Beweggründen verbunden, weil sie nicht dazu erzogen werden, die Vorstellungen der anderen zu erfüllen.

 

F wie Fehler

Gibt es Fehler überhaupt? Oder, anders gefragt: Sind Fehler schlecht? Indem wir ungünstige Entscheidungen treffen, erkennen wir den Irrtum und sind in der Lage, etwas anders zu machen. Dieses Lernen durch Versuch und Irrtum ist ein völlig natürliches, lange bekanntes und gut erforschtes Modell in der Lernpsychologie. Allerdings haben wir wohl etwas falsch verstanden, wenn wir, wie im Schulbetrieb üblich, Fehler anprangern und künstlich unangenehm machen. Die Idee dahinter ist, dass Fehler, weil negativ besetzt, von Vornherein vermieden werden und der Umweg ausgeschaltet wird. Aber: So funktioniert Lernen nicht! Beim Freilerner-Alltag sind Fehler ganz normal mit dabei. Sie werden weder rot angestrichen noch als Verfehlung betrachtet. Meistens finden die jungen Menschen ganz von selbst Wege und Strategien, um zum Ziel zu kommen. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel ist das Schreiben von Wörtern und ganzen Sätzen. Auch ohne die Kenntnis von Regeln werden die Wörter ausgehend von der Lautsprache immer mehr an die übliche Schreibweise angeglichen. Das ungefragte Ausbessern von Fehlern erübrigt sich, denn die jungen Menschen wollen es von sich aus gut machen und nützen dazu die ihnen zur Verfügung stehenden Hilfsmittel oder gehen mit uns in Kontakt, wenn sie Unterstützung möchten. Indem wir selbst damit beginnen, Fehler als etwas Positives, Hilfreiches zu betrachten, können wir uns darin üben, ein negatives Denkmuster aufzubrechen und neue Wege zu beschreiten.

 

F wie Familie

Idealerweise ist Familie der sichere Hafen, in den man jederzeit zurückkehren kann, der einen aufnimmt und gut versorgt, wie immer man es gerade braucht. Freilerner- Familien verbringen viel Zeit miteinander, und die einzelnen Mitglieder entwickeln eine enge Beziehung zueinander. Gemeinsam erforschen sie die Welt und teilen ihre Erfahrungen. Dass junge Menschen sich weniger sozial entwickeln, wenn sie keine Institutionen besuchen, gehört ins Reich der Mythen und Märchen. Ganz im Gegenteil: Aus dem sicheren Hafen heraus strecken sie ihre Fühler aus und finden in der für sie passenden Zeit genau die richtigen Wege hinaus in die Welt. Dennoch bleibt die Familie wichtig und ist immer wieder ihr Ankerpunkt in bewegten Zeiten. Wichtig ist, dass das Freilernen von allen beteiligten Erwachsenen mitgetragen wird. Wenn die Eltern uneinig sind, ist es für Kinder schwer, sich ganz auf das Freilernen einzulassen. Sie spüren die vorhandene Erwartungshaltung und versuchen, sich daran anzupassen. Wenn die Großeltern in der Nähe leben, ist es eine große Hilfe, wenn auch sie mit dem Freilernen vertraut sind. Indem sie die selbstbestimmten Schritte der jungen Menschen mitgehen, erkennen und erleben sie selbst, dass es ihnen gut geht und sie sich gut entwickeln. Dadurch schwinden Vorurteile und Zweifel, und mit Hilfe der eigenen Erfahrungen erlangen sie eine wachsende Sicherheit, die Idee und Praxis des Freilernens nach außen zu tragen.