Dieser offene Brief ist eine Antwort auf den Artikel „Schulpflichtverletzungen im Häuslichen Unterricht“, erschienen in der Zeitschrift „Schule und Recht“ am 10.7.2023. Geschrieben wurde er von einer jungen Juristin, die das Thema offenkundig nur aus den Medien kennt. Eine engagierte Freilernermutter, auch Mitglied unseres Vereins möchte aufzeigen, dass die Dinge aus der Perspektive der betroffenen Kinder und Eltern ganz anders aussehen. Der Brief wird sowohl bei uns als auch auf der „Plattform freie Bildungswege“ veröffentlicht.
Hier findet sich der Artikel auf den geantwortet wird: Schulpflichtverletzungen im häuslichen Unterricht
Mit großem Erstaunen habe ich Ihren Artikel „Schulpflichtverletzungen im Häuslichen Unterricht“, erschienen in der Zeitschrift „Schule und Recht“ am 10.7.2023, gelesen. Mehrere Aspekte daran haben mich irritiert und dazu bewogen, Ihnen zu schreiben!
Vielleicht darf ich mich kurz vorstellen: ich bin Mutter zweier wunderbarer junger Menschen, die nun schon ihr ganzes Leben in den Genuss kamen, sich frei bilden zu dürfen. Mein Mann und ich haben damals schon in der Schwangerschaft diese Entscheidung getroffen, weil wir für uns erkannt haben, welch ungeheures Potential in diesem Bildungsweg liegt. Heute – 10 Jahre später – und mit ein paar Jahren Erfahrung können wir hinzufügen: ja, dieser Weg ist für uns und unsere Kinder goldrichtig!
Ich möchte noch darlegen – weil das leider notwendig erscheint -, dass ich die WU Wien abgeschlossen habe und danach 10 Jahre lang in internationalen Konzernen in der Personalentwicklung tätig war. Mein Mann hat die TU Wien mit Auszeichnung abgeschlossen und leitet mittlerweile seit über 15 Jahren internationale Teams in der IT-Entwicklung von zu Hause aus.
Genauso wichtig scheint es mir, zu erwähnen, dass all diese Abschlüsse und Erfahrungen nicht notwendig sind, um Kinder auf ihren individuellen Bildungswegen zu begleiten.
Unsere Entscheidung, unseren Kindern selbstbestimmte Bildung zu ermöglichen, war eine wohl fundierte. Wir haben uns eingehend mit der Thematik beschäftigt, uns mit vielen Menschen, die den Weg schon lange vor uns gegangen sind, ausgetauscht, bereits erwachsene Freilerner kennengelernt etc. Bis heute sind wir davon überzeugt, dass unsere Kinder genauso aufwachsen, wie es für ihr körperliches, seelisches und geistiges Wohl am besten ist.
Es ist uns bewusst, dass dieser Weg revolutionär ist in dem Sinne, dass er so ziemlich alles in Frage stellt, was wir über Bildung zu wissen glauben. Es ist uns bewusst, dass Menschen, die sich mit diesem Weg nicht auseinandersetzen, ihm mit großer Skepsis begegnen. Und es schmerzt uns, dass dies sehr oft darin resultiert, dass Familien wie wir angegriffen und diffamiert werden. Ich glaube nicht, dass Sie, liebe Frau Mundl, diesen Artikel so schreiben hätten können, wie Sie es getan haben, wenn Sie wirklich verstünden, was Freie Bildung ist und, wenn Sie uns Familien, die wir diesen Weg gehen, als Menschen kennen würden.
Beim Lesen fiel mir immer wieder das Wort „Xenophobie“ ein und es tut mir leid, dass diese meine Aussage so hart ist. Xenophobie bedeutet eine Ablehnung gegenüber Personen, die als andersartig und fremd wahrgenommen werden.
Ich möchte nun auf einige Passagen Ihres Artikels eingehen, die ich besonders bemerkenswert fand.
An einer Stelle schreiben Sie:
„Man muss kein allzu aufmerksamer Leser sein, um auf diversen Telegramkanälen, die sich hauptsächlich mit dem häuslichen Unterricht beschäftigen, auch auf esoterische, ideologische oder staatskritische Inhalte zu stoßen. So werden auf dem Telegramkanal „FreispielerInnen Oö“ beispielsweise Informationen zu Betten geteilt, die in der Lage sein sollen, den menschlichen Körper durch Verwendung von Gen-Codes in unserer DNS in seine optimale Gesundheit zurückzusetzen und wird auf demselben Kanal auf eine Rede des französischen Generals Christian Blanchon aufmerksam gemacht, welcher ein Tribut zu Ehren der „Ungeimpften“ verfasst hat, während man auf dem Kanal „WissenSchafft Freiheit“ eine Einladung zum „Lichtkörper Online Kongress“ findet, in welchem man mit seinem kosmischen Urklang verschmelzen und in die Mystik seines Herzens eintauchen kann. (FN 16) Die geteilten Inhalte in jenen Telegramgruppen bilden insofern einen Grund zur Sorge, als sie die Befürchtung um die Einvernahme des Wesens des häuslichen Unterrichts durch esoterische und staatskritische Ideologien (FN 17) verstärken.“
Darf ich Ihnen die Frage stellen, warum Sie die persönliche Meinung und die privaten Angelegenheiten von Menschen, zum Anlass nehmen, um diese Menschen in ein fragwürdiges Licht zur rücken? Welche Meinungen und Werthaltungen von Eltern sind denn akzeptabel? Ich möchte mich diesen diversen Meinungen und Weltanschauungen weder anschließen, noch möchte ich mich davon distanzieren, aber ich möchte mit Nachdruck verlangen, dass wir die persönlichen Meinungen und Haltungen von Menschen in einer Demokratie und innerhalb einer Rechtsstaatlichkeit respektieren und nicht in einem rechtlichen Kontext gegen sie verwenden.
Weiters meinen Sie, dies seien staatskritische Ideologien. Ja, ist denn eine Kritik am Staat nicht mehr erwünscht? Was ist denn der Fehler an einer staatskritischen Haltung? Ich denke, als demokratische Bürger haben wir das Recht, Kritik am Staat zu üben – so oft und so lange wir wollen. Vielleicht ist diese ja am Ende sogar gerechtfertigt und führt zu einem Erkenntnisgewinn, der uns alle weiterbringt! Was würde aus einer Demokratie denn werden ohne die kritische Haltung ihrer Bürger und ohne Diskurs?
An anderer Stelle schreiben Sie:
„In Anbetracht der gegenwärtigen Entwicklungen stellt sich die Frage, wie jenen Kindern, welche durch die ideologischen Vorstellungen und den zivilen Ungehorsam ihrer Erziehungsberechtigten vom Erreichen von Bildungsabschlüssen abgehalten bzw deren Bildungschancen durch die Verweigerung der Ablegung der Externistenprüfung erschwert werden, entgegengekommen werden kann. Dies kann meines Erachtens durch zwei Maßnahmen erfolgen.“
Und:
„….ist es jedenfalls erforderlich, dass dem Vorgehen jener Gruppierungen Einhalt geboten wird, die durch ihren Widerstand ihre eigenen Kinder der Gefahr von Bildungs- und Chancenverlusten aussetzen.“
Ihre Aussagen beruhen auf der völlig unhinterfragten Annahme, dass nur Kinder, die das Schulsystem innerhalb des staatlich legitimierten Rahmens durchlaufen, Bildungschancen hätten, während alle anderen in Gefahr seien, einen Bildungs- und Chancenverlust zu erleiden. Aufgrund dieser durch nichts belegten Aussage führen Sie nun weiter auf, welche Bestrafungen die Familien erhalten müssen, die – aus ihrer Sicht – derart unverantwortlich handeln. Was ist, wenn Sie sich irren?
Bildungsabschlüsse kann man in Österreich, ganz Europa, Amerika etc. jederzeit nachholen. Stichwort Externistenmatura, Studienberechtigungsprüfung, etc. Es ist nicht so, dass Freilernen etwas Neues, völlig Unbekanntes wäre. Seit Jahrzehnten gibt es im In- und Ausland eine Fülle positiver Beispiele dafür. Auf der anderen Seite äußern bereits viele Firmen und Personalchefs ihren Unmut über die Kenntnisse von Schulabsolventen und die Qualität ihrer „Zeugnisse“, sodass ein Umdenken hier für viele bereits wünschenswert erscheint.
Freie und selbstbestimmte Bildung findet in Österreich in vielen Schulen mit Öffentlichkeitsrecht seit vielen Jahren statt und hat bisher noch niemanden in Gefahr gebracht. Freie und selbstbestimmte Bildung findet mit staatlicher Unterstützung in vielen Staaten der USA, in Kanada, Großbritannien etc. seit Jahrzehnten statt (in diesen Ländern gibt es auch ausreichend wissenschaftliche Studien dazu). Wieso sollten nun ausgerechnet unsere Kinder Bildungsverluste erleiden?
Welche fatalen Folgen es für die betroffenen Familien hat, wenn Richter und andere Entscheidungsträger diese völlig unhinterfragte, aber schlichtweg falsche Aussage als Grundlage ihrer Entscheidungen heranziehen, sehen wir dann in der Praxis.
Familien werden mit Strafen in den finanziellen Ruin getrieben und müssen ihre Kinder schließlich in die Schule stecken, obwohl weder die Eltern, noch die Kinder das wollen. All diese Familien sehen sich gezwungen, ihre persönlichen Ansichten und Wertehaltungen in Bezug auf Bildung aufzugeben. Sie müssen sich beugen und ihre Kinder gegen deren Willen in die Schule schicken, weil DER STAAT EINE ANDERE MEINUNG IN BEZUG AUF BILDUNG NICHT ZULÄSST UND AM LÄNGEREN HEBELARM SITZT.
Haben Sie sich bewusst gemacht, von welche Art Gefahr für die Kinder Sie hier sprechen? Sind Sie jemals auf die Idee gekommen, die Betroffenen der „Schulverweigererszene“ kennenzulernen und mit ihnen gemeinsam Lösungen zu entwickeln?
Die Plattform „Freie Bildungswege“ reicht Ihnen, dem Bildungsminister und jedem Einzelnen die Hand und bittet um Gespräche und gemeinsame Lösungsfindung. Über 200.000 Menschen haben den offenen Brief an den Bildungsminister unterzeichnet und bitten Sie und alle anderen darum, die Waffen niederzulegen und die Gespräche zu beginnen.
Wir sind vielleicht fremdartig, aber weder dumm, noch verrückt oder bösartig genug, um unsere eigenen Kinder in Gefahr zu bringen!
Daher möchte ich Ihnen abschließend noch sagen, warum wir nicht mehr zu den Prüfungen gehen wollen. Ich weiß, Sie haben nicht gefragt.
1. Die Prüfungen stellen eine Ungleichbehandlung der Kinder im häuslichen Unterricht gegenüber Schulkindern dar.
- Die Durchführung der Prüfungen an zugeteilten Schulen erlaubt es Eltern nicht mehr, eine Schule zu wählen, die mit ähnlichen pädagogischen Konzepten arbeitet.
- Die Kinder können weder die Prüfer, noch das Setting vorab kennenlernen und müssen teilweise schon als 6jährige eine Prüfung vor einer ihnen und ihren Eltern unbekannten Prüfungskommission ablegen. Viele Eltern erachten diese Praxis als Kindswohl gefährdend und Zumutung für jedes Kind.
- Die Kinder erhalten keine Angaben darüber, was die Lehrer im Unterricht tatsächlich durchnehmen, sondern sollen den gesamten Lehrstoff beherrschen.
- Direktoren und Lehrer, die die Prüfungen abnehmen, äußern sich teilweise abfällig über Externisten. SQMs, die darauf aufmerksam gemacht werden, interessieren sich dafür nicht.
- Angesichts der negativen Vorurteile, die durch Artikel, wie den Ihren transportiert werden, braucht es schon eine große persönliche Reife, um hier als prüfende Person die Neutralität zu wahren.
- Viele Eltern, die ihre Kinder gutgläubig zur Prüfung gehen ließen, mussten danach weinende Kinder entgegennehmen, die von verstörenden Äußerungen der Pädagogen berichteten. (Ja, es gab zum Glück auch positive Erfahrungen!)
- Freie, selbstbestimmte Bildung und Schulbildung gemäß Lehrplan zu vergleichen geht sich nicht aus. Man vergleicht ja auch nicht Äpfel mit Birnen.
Sie sehen also, dass betroffene Eltern konkrete und auch sehr legitime Gründe haben, die Prüfungen in dieser Form nicht mehr zu akzeptieren. Gründe, die nichts mit einer esoterischen Weltsicht zu tun haben, sondern sich ganz konkret auf das Wohl ihrer Kinder beziehen.
1958 wurde die Europäische Menschenrechtskonvention Teil der österreichischen Verfassung. Dort heißt es in Bezug auf das Recht auf Bildung: “Der Staat hat bei Ausübung der von ihm auf dem Gebiete der Erziehung und des Unterrichts übernommenen Aufgaben das Recht der Eltern zu achten, die Erziehung und den Unterricht entsprechend ihren eigenen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen sicherzustellen.“
In Art. 26 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen (217A/III) heißt es: „Die Eltern haben ein vorrangiges Recht, die Art der Bildung zu wählen, die ihren Kindern zuteil werden soll.“
Das Vorgehen dieser Eltern ist ihr MENSCHENRECHT! Und gerne möchten wir sogar noch ein Stück weiter gehen und sagen: Jeder Mensch hat das Recht, über seine Bildung zu entscheiden! Unsere Kinder haben das Recht, selbst zu entscheiden, wo und wie sie sich bilden! Und ja: wir Eltern sind in der Verantwortung, den Rahmen für sie zu halten.
Bei all dem Gesagten möchte ich nicht verabsäumen, Sie herzlich einzuladen, uns kennenzulernen, in den Austausch zu gehen und uns auch wissen zu lassen, was sie veranlasst, solch drastische Worte zu wählen und solch folgenreiche Vorschläge zu machen, wenn es letztlich ja doch nur um den Umgang mit andersdenkenden Eltern geht. Vielleicht haben Sie ja Gründe, so zu denken, wie Sie denken, die ich noch nicht bedacht habe? Ich wäre sehr neugierig, von Ihnen mehr darüber zu erfahren!