Freilernen – ein Begriff, der häufig viele Fragen offenlässt. Das ABC des natürlichen Lernens sammelt und erklärt die wesentlichen Begriffe des Freilernens.
HEIDRUN KRISA & SUSANNE SOMMER
E wie Eintauchen
Freilernen hat viele Facetten. Das Eintauchen – in ein bestimmtes Thema – ist eine davon. Die freie Zeiteinteilung, das selbstgewählte und intrinsisch motivierte Herangehen an ein bestimmtes Thema, die Möglichkeit der unendlichen Wiederholung bzw. Erweiterung der »Wissensmaterie « – all das begünstigt, ja ermöglicht das tatsächliche Eintauchen in ein Lerngebiet, in eine Aufgabe. Gemeint ist damit nicht nur der viel zitierte »Flow«, also das konzentrierte und schaffensfreudige Erleben im Moment. Mit Eintauchen ist das wirkliche Auskosten eines Themas gemeint. So lange, bis das Bedürfnis, noch mehr darüber erfahren zu wollen, befriedigt ist. Und das kann ganz unterschiedlich lang sein. Manche Interessen sind nach kurzer Zeit erledigt. Andere bedürfen Wochen, Monate, ja ganzer Jahre. Das Schöne dabei ist, dass Eltern sich dabei voll und ganz von ihren Töchtern und Söhnen lenken lassen dürfen. Denn sie sind es, die nach mehr fragen. Oder eben nicht. Sie müssen nicht motiviert, geleitet werden. Natürlich dürfen Eltern und andere Begleiter:innen Vorschläge machen, etwas anbieten. Das passiert aber nicht vorsätzlich, also mit einer bestimmten Intention (wie zum Beispiel: Der junge Mensch soll dabei xy lernen), sondern aus der Mitfreude, dem gemeinsam gelebten Leben heraus. Eltern werden dann »hellhörig« für die Dinge, die auch interessant sein können und bieten sie ganz selbstverständlich und erwartungsfrei an. Sehr bereichernd ist es, als Eltern mit den jungen Menschen gemeinsam ganz tief eintauchen zu können. Und sich vielleicht den schon seit jeher in sich schlummernden Wunsch zu erfüllen, sich vollkommen, ohne Druck und Zeitvorgabe einem Thema widmen zu dürfen. Eine Erlebensqualität, die den meisten Eltern vorenthalten wurde, nehmen Schulanforderungen doch jegliche Möglichkeit, sich wirklich intensiv mit einem Wissensgebiet beschäftigen zu können. Also: eine unbezahlbare Chance, sich diesbezüglich nachzunähren und gleichzeitig in verbindendem Kontakt mit den eigenen Kindern zu sein.
E wie Einkommen
»Wie schafft ihr das, wenn ihr nicht beide arbeiten geht? Bei uns würde das nicht gehen.« Solche und ähnliche Sätze hören wohl alle Freilerner-Eltern immer wieder. Ja, jungen Menschen einen freien und selbstbestimmten Bildungsweg zu ermöglichen, scheitert tatsächlich oft an der Idee oder Angst, das Geld könnte nicht reichen. Dieser Glaubenssatz wird meist schon aus der eigenen Kindheit mitgeschleppt. Und stimmt schlicht und ergreifend nicht. Es ist eine Tatsache, dass eine durchschnittlich große Familie sehr gut durch ein Gehalt versorgt werden kann. Auch gibt es Möglichkeiten, dass sich die Eltern »die Arbeit« aufteilen, dass also der Vater und die Mutter zum Einkommen beitragen, allerdings nicht im »gesellschaftlich vorgesehenen und bekannten« Stundenausmaß. Wobei das nicht immer im befriedigender Weise funktioniert. Weil Familiensituationen und auch die Bedürfnisse junger Menschen individuell und verschieden sind. Es braucht gesellschaftspolitisch in jedem Fall dringende Veränderungen. Wichtig wäre es, sich für ein bedingungsloses Grundeinkommen einzusetzen sowie dafür, dass Elternschaft endlich als essenziell wichtige Arbeit an der Basis der Gesellschaft anerkannt und monetär entlohnt wird. Und es wäre wünschenswert, dass Eltern freilernender Kinder jenes Geld zur Verfügung steht, das von Seiten des Staates ja auch für Krippen-, Kindergarten- und Schulplätze ausgegeben wird. Leider ist das – jedenfalls in Österreich und Deutschland – nicht der Fall.
Tatsache ist, dass die finanziellen Bedingungen vielleicht nicht die einfachsten sind, wenn es darum geht, den anvertrauten jungen Menschen einen selbstbestimmten Bildungs- und Lebensweg zu ermöglichen. Aber es ist möglich. Wo ein Wille, da ein Weg.
E wie Eigenverantwortung
Als Menschen sind wir immer eigenverantwortlich. Das beginnt bei der Versorgung des eigenen Körpers, dem Wahrnehmen und Erfüllen der eigenen Bedürfnisse und setzt sich auf allen Ebenen fort. Das Freilernen als Lebensentwurf ermöglicht es jungen Menschen, sich selbst zu spüren, ja in sich selbst verwurzelt zu bleiben. Denn es bietet genug Zeit und Raum, um sich selbst und seine »Eigenarten« – das, was uns selbst guttut oder eben nicht – kennenzulernen. Somit wächst die Eigenverantwortung »einfach« mit. Und wer sich für sich und seine Lebensgestaltung selbst verantwortlich fühlt, der wird sich auch für das Leben anderer Menschen, ja für die gesunde Entwicklung des gesamten Lebensraums Erde verantwortlich fühlen. Die Haltung des Freilernens ist somit ein nachhaltiger Nährboden für eine zukunftsweisende Entwicklung dieser Welt. Eine Grundvoraussetzung zur Einleitung eines kulturellen wie ökologischen Klimawandels. Wer von jungen Jahren an lernt, für sich selbst zu entscheiden und sich selbst gut zu spüren, wird die Verantwortung nicht so einfach an »äußere Autoritäten« abgeben. Das klingt zu paradiesisch? Bitte ausprobieren und an den eigenen Töchtern und Söhnen bewahrheitet finden.