Das ABC des natürlichen Lernens – B

Das ABC des natürlichen Lernens sammelt und erklärt die wesentlichen Begriffe des Freilernens.

HEIDRUN KRISA & SUSANNE SOMMER

 

B wie Begeisterung

Wollte man ein Rezept für das Freilernen aufstellen, was weder möglich noch sinnvoll ist, wäre Begeisterung die Hauptzutat. Begeisterung ist eine unglaubliche Kraft und der beste Motor für sinnerfüllte Lernerfahrungen. Das Gute ist: Wir alle bekommen sie bei unserer Geburt gratis mitgeliefert! Keine Ausrede also, dass wir »nicht so begeisterungsfähig « wären. Gilt nicht! Aber: Wo ist unsere eigene Begeisterung geblieben? Wie konnte sie uns abhandenkommen?

André Stern, Autor des Buches Begeisterung: Die Energie der Kindheit wiederfinden und selbst Experte für die Begeisterung, hat eine Antwort dafür: Schon in frühester Kindheit wird uns der schwere Deckel der Erwartungen von den Erwachsenen auf die natürliche Begeisterungsfähigkeit aufgedrückt. Von da an fügen wir uns dem Erwartungsdruck und folgen nicht mehr unseren ureigenen Interessen, die uns natürlich begeistern. Im selben Zuge wird Lernen anstrengend, etwas, was Widerstand auslöst. Das ist denkbar schlecht, weil die gemachten Erfahrungen dadurch nicht positiv verknüpft werden und in unserem Gehirn fortan schwer abrufbar sind. Das müssen wir schleunigst ändern und uns unsere Begeisterung zurückholen. Ja, sie ist noch da! Sie schlummert in uns und wartet darauf, dass wir sie wiederentdecken und lebendig werden lassen.

Eine Bitte: Ermöglichen wir den jungen Menschen, dass sie gar nicht erst verschüttet wird! Helfen wir mit, dass die Begeisterung und mit ihr das volle Potential von uns Menschen in der nächsten Generation zu voller Blüte kommen kann!

 

Bewertung

Durch Bewertung wird jemandem oder etwas ein Wert zugeschrieben. Dieser Wert kann höher oder niedriger sein. In jedem Falle ist Bewertung eine sehr sensible Angelegenheit, die verletzen kann, wenn der betroffene Mensch nicht ausdrücklich darum gebeten hat. Es schreckt mich immer wieder, wie unachtsam wir in unserer Gesellschaft mit Bewertung umgehen. Dabei ist es gar nicht so schwer, durch eine etwas andere Formulierung Bewertung zu vermeiden.

Freilernende Menschen sind nicht abhängig von Bewertung von außen. Sie folgen ihrer intrinsischen Motivation und haben ihre eigene Vorstellung davon, wie sie ihr Ziel erreichen. Dieser Weg ist kreativ, fördert die Flexibilität, stärkt die Frustrationstoleranz und zeugt meistens von großer Ausdauer. Hindernisse sind kein Grund, das Vorhaben aufzugeben, und ein hohes Maß an Selbstkritik macht Vergleich und Bewertung »unnötig«.

Durch bewertende Aussagen, dazu zählen sowohl Lob als auch Kritik, weisen wir dem Empfänger eine untergeordnete Position zu. Wir machen ihn zum Objekt. Diese Objekt-Position ist dem Selbstwert nicht förderlich und begründet eine Abhängigkeit. Häufig »brauchen« Menschen dann das Lob und die Anerkennung, um sich wertvoll zu fühlen. Ein sehr präsentes Beispiel für Bewertung sind Schulnoten. Im Grunde kreist der institutionelle Wissenserwerb ständig um die zu vergebenden Noten. Deutlich sagt dies der Satz: »Wenn es keine Noten gäbe, würde ich gar nichts machen«. Wir haben die intrinsische Motivation verloren und uns in die Abhängigkeit äußerer Bewertung begeben.

 

Bildung

Welches Bild hast du im Kopf, wenn du das Wort »Bildung « hörst? Ist es ein Konglomerat aus verstaubten Jahreszahlen, Vokabeln und mathematischen Formeln? Trägt es zur Bildung bei, wenn wir jungen Menschen abrufbares Detailwissen eintrichtern? Ist jemand gebildet, wenn er zahlreiche Zertifikate an der Wand hängen hat? Bildung ist so viel mehr …

Beim Freilernen entsteht Bildung organisch, »wie von selbst«, indem sich neue Erfahrungen, neues Wissen, das wir uns täglich selbst erschaffen, in unser bestehendes Bild von der Welt eingliedern. So wächst dieses Bild beständig, wird immer bunter, facettenreicher und umfassender und beinhaltet alles, was auf dieser Welt möglich ist, inklusive aller Querverbindungen. Alles, was wir erfahren, wirkt auf uns, formt uns unwillkürlich, bildet unsere Persönlichkeit. So ist gewährleistet, dass jeder Mensch, ob jung oder alt, ganz einzigartig, vollkommen und immer genau passend den nächsten Schritt in seinem ihm eigenen Bildungsprozess macht. Ganz nach dem Motto »Der Weg ist das Ziel«. Bildung ist niemals abgeschlossen und entzieht sich jeder Form von Bewertung. Im besten Falle führt sie dazu, dass Menschen kritisch mit Informationen umgehen können, Manipulation erkennen, sich ihrer eigenen Grenzen bewusst sind und auch den Mut haben, sie zu artikulieren.

Schule als Bildungsmonopol ist passé, insbesondere wenn wir alle dadurch verursachten Kollateralschäden betrachten und ernst nehmen. Bildung ist zu wichtig, um sie einer Institution zu überlassen. Nehmen wir sie selbst in die Hand!

 

Buntheit

Das Eigenschaftswort »bunt« charakterisiert die Idee und den Geist von Freilernen sehr gut. Und zwar sowohl das Lebensgefühl als auch das, was dadurch in unserer Gesellschaft entsteht: Vielfalt in großer Form, Verschiedenheit in seiner ganzen Bandbreite.

Buntheit wird oft mit Eigenschaften wie Fröhlichkeit, Freude, Spaß, Offenheit, Toleranz, Lebendigkeit, Leichtigkeit, Natürlichkeit assoziiert – das sind alles Attribute, die unser Leben positiv bereichern. Buntheit ist das Gegenteil von Schwarz-Weiß-Denken. Bei dieser Denkweise gibt es nur Entweder-Oder und nichts dazwischen. Freilernen lässt alles zu, alles ist erlaubt. Individualität wird großgeschrieben. Das hat nichts mit Egoismus zu tun, ganz im Gegenteil. Menschen, die »sie selbst« sein dürfen, denen nichts aufgezwungen wird, respektieren auch die Individualität des anderen. Wenn wir Menschen von Anfang an mit dem Selbstverständnis aufwachsen, dass jeder gut ist, wie er ist, bleiben wir in unserer Psyche heil und entwickeln ganz natürlich ein gesundes Selbstwertgefühl. Wie gut fühlt es sich an, wenn niemand abgewertet wird, wenn niemand diskriminiert wird und wenn keine Ausgrenzung passiert! Welch eine schöne Vision für unsere Zukunft!