Weil die Thematik der Staatsverweigerung auch in Österreich immer wieder mit Initiativen zu selbstbestimmter Bildung in Verbindung gebracht wird, haben wir uns dazu entschieden, den folgenden Artikel aus der deutschen Zeitschrift „die freilerner“ von Angela Schickhoff auf unserer Website zu veröffentlichen, da er unsere Haltung sehr gut zusammenfasst:
„Aus aktuellem Anlass möchte ich die Frage des Umgangs mit staatsleugnerischem Gedankengut in der »Freilerner-Szene« thematisieren. Die Freilerner-Solidargemeinschaft erreichte vor kurzem ein Unterstützungsantrag einer Mutter, der die Kinder durch das Jugendamt entzogen worden waren. Hier war es generell schon schwierig, den Weg der Selbstbestimmten Bildung zu gehen, weil die – getrennt lebenden – Eltern sich diesbezüglich nicht einig sind. Einer der Auslöser für den Kindesentzug war aber ein anderer: Das Jugendamt sah das Kindeswohl aufgrund der Argumentation der Mutter, die sich an der so genannten »Reichsbürger«ideologie orientiere, gefährdet. Ich benutze den Begriff »Reichsbürger« hier ganz bewusst, denn auch, wenn das Spektrum dieser Gruppe groß ist und Schubladendenken sicher auch nicht gut, so stammten die Argumente eben klar aus deren Kernaussagen. Die Mutter ließ sich vollkommen vereinnahmen, setzte sämtliche Ratschläge vollständig um und glaubte dem Versprechen, dass sie auf diesem Weg »gewinnen« würde.
Die entsprechenden Argumentationslinien sind nicht neu, begegneten uns in den letzten zwei Jahren jedoch zunehmend auch in den Kreisen der an Selbstbestimmter Bildung interes- sierten Familien. Es geht vor allem um die Behauptungen, die Bundesrepublik Deutschland würde als Staat nicht existieren (Stichwort »BRD-GmbH«), Bundesgesetze seien ungültig, Behörden seien nicht handlungsfähig, in Rechtsfragen würden (daher) nur das See- und Handelsrecht (oder irgendwelche anderen internationalen oder früheren Rechtsnormen) greifen.
Ich möchte diese Ideen hier nicht diskutieren. Mir ist es jedoch wichtig, darauf hinzuweisen, dass sie gefährlich sind. Zum einen können sie, wie in oben genanntem Fall, schlimme Folgen für die jeweiligen Familien haben. Ämter, Behörden, Gerichte und Staatsorgane sind (meiner Ansicht nach: zurecht) von ihrer eigenen Legitimation überzeugt, sie sind handlungsfähig und sie werden auch handeln. Zum anderen haben diese Argumente in meinen Augen auch nichts mit unserem Thema – der Selbstbestimmten Bildung – zu tun. Bei dieser geht es gerade darum, sich, bei aller notwendigen Kritik, in die (staatliche) Gemeinschaft zu integrieren, nicht sich komplett von ihr abzuwenden. Eine Ideologie, die einen Staat samt seiner Rechtsprechung et cetera für nicht existent erklärt, negiert dies vollkommen.
Die von uns – der FSG – unterstützten juristischen Argumente, die bereits kleine Erfolge mit sich gebracht haben, basieren auf dem deutschen Rechtssystem und gehen von der Existenz der Bundesrepublik aus. Das Berufen auf Ideen aus dem »Reichsbürger«spektrum kann diese Erfolge zunichte machen, indem die Freilerner-Bewegung zunehmend diesem Ideenkreis zugerechnet und noch weniger ernst genommen wird. Ihr schadet damit unter Umständen also nicht nur euren Familien, sondern auch unserer Sache.
Wird der Staat komplett negiert, sind auch seine Angebote, sei es auf dem Gebiet der Bildung, der politischen Teil- habe oder anderswo, nicht mehr interessant. Es wird eine ganz eigene, mehr oder weniger abgeschottete, Gegenwelt geschaffen. Ich fürchte, dass Eltern mit starken Glaubenssätzen, die andere Vorstellungen strikt ausschließen, nicht fähig sind, ihren Kindern echte Selbstbestimmte Bildung, die ja eine Kernidee der Freilerner-Bewegung darstellt, zu gewähren. Sie müssten den jungen Menschen ja die Möglichkeit geben, alle Seiten zu betrachten, eigene Erfahrungen zu sammeln und sich eventuell auch eine andere Meinung zu bilden als die, der ihre jeweilige Gruppe anhängt. Damit will ich nicht behaupten, dass sie schlechte Eltern wären. Sicher lieben sie ihre Kinder und wollen das Beste für diese. Nur – wer entscheidet, was das Beste ist? Kinder, die sich selbstbestimmt bilden, sollten ihre eigenen Antworten finden dürfen.
Natürlich sind wir alle von unserem jeweiligen Umfeld beeinflusst, wird aber dieser Einfluss zu autoritär, kippt es. Die 6 Aus der Bewegung »Reichsbürger«ideologie und die daraus folgende »Beratung« betroffener Familien sehe ich auf jeden Fall als autoritär an. Es gibt nur die eine abso- lute – natürlich nur wenigen Berufenen komplett zugängliche – Wahrheit, an die die Geschichte und alle gesellschaftlichen Gegebenheiten angepasst werden. Andere Sichtweisen und oft genug die Realität werden ignoriert. So kann es dann dazu kommen, dass eine absurde Argumentation, unter anderem mit formelhaften Bezeichnungen ( »Sprössling«, »der Unterzeichnende«, Hinweis darauf, ein Mensch zu sein) und unhaltbaren Vorwürfen (ein Amt sei ein privates Wirtschaftsunternehmen) oder fatalen Fehleinschätzungen (ein Bußgeld sei ein Angebot, dass man nur ablehnen müsse), deren Befolgung, so versprechen es die »Berater*innen«, zur ersehnten Freiheit führen soll, folgerichtig im Drama endet. Dabei müsste doch der normale Menschenverstand wenigstens zu einer gewissen Vorsicht mahnen.
Unter den gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen zu erreichen, dass junge Menschen sich selbstbestimmt bilden können, ist zugegebenermaßen schwer und in manchen Situationen auch aussichtslos. Ich verstehe schon, dass die Aussagen dieser »Berater*innen« da verlockend klingen. Sie versprechen, dass ihr Weg den Familien zum Beispiel zu einem schulfreien Leben (oder anderen Zielen) verhilft. Dabei nehmen sie aber bereitwillig deren Unglück in Kauf, wenn das dann (erwartungsgemäß!) nicht funktioniert. Hier steht ihre Ideologie, nicht das Wohl der hilfesuchenden Familien, im Vordergrund. Im obigen Fall hat nun ein erfahrener Anwalt übernommen und versucht, den Kindesentzug rückgängig zu machen. Die Familie wird das mehrere Tausend Euro, viel Kraft und viele Tränen kosten. Der Schaden, sowohl für die Familie als auch für die Sache der Selbstbestimmten Bildung, ist und bleibt jedoch angerichtet.
Mittlerweile haben die Bundesländer für ihre Ämter und Behörden Richtlinien herausgegeben, nach denen diese beim Zusammentreffen mit »Reichsbürger«ideologien verfahren sollen. Ein Durchlesen lohnt sich. Es ist leicht ersichtlich, dass diese Ideen nicht zum Erfolg führen werden. Und nein, ein hartes Vorgehen der Behörden ist kein Zeichen dafür, dass diese doch wahr sind (und daher staatlicherseits unterdrückt werden müssen), wie ich erst kürzlich in einer – leider dem Thema Selbstbestimmte Bildung nahe stehenden – Telegram-Gruppe lesen durfte. Es ist schlichtweg nur ein Zeichen dafür, dass unser existentes Recht angewendet wird. Eben auch, wenn die Ämter Kinder als gefährdet ansehen, die in solchen Ideologien anhängen- den Familien leben. Natürlich kann der Kindesentzug als Mittel generell in Frage gestellt werden, aber die Sorge der Behörden und ein daraus folgendes Tätigwerden sind absolut nachvollziehbar.
Die FSG hat bereits in der Vergangenheit die Unterstützung von Familien, die staatsleugnerischem Gedankengut anhängen, abgelehnt. Wir werden dies zukünftig noch stärker beachten. Unser Ziel ist die Akzeptanz von Selbstbestimmter Bildung innerhalb unserer Gesellschaft/staatlichen Gemeinschaft, von der wir uns eben gerade nicht abwenden, sondern die wir mitgestalten wollen, und zwar in ihrer ganzen Vielfalt und auch Wider- sprüchlichkeit.
Also – ich bitte euch – in eurem und unser aller Interesse: Lasst euch nicht auf gefährliche staatsleugnerische Beratungen beziehungsweise Argumentationen ein. Sie sind nach unserer Erfahrung nutzlos und schädlich. Holt euch wenigstens eine weitere Meinung von außerhalb dieses Spektrums ein, gerne bei uns, der FSG. Es geht um nichts weniger als das Wohl eurer Kinder!“
Angela Schickhoff ist Mutter von vier selbstbestimmt lernenden Kindern und Vorstandsvorsitzende der Freilerner-Solidargemeinschaft