Erfahrungen mit schulfreier Bildung in Deutschland: Ein Reisebericht

Kerstin W. erstellte für die deutsche Freilernerzeitschrift einen wirklich interessanten ‚Reisebericht‘. Wir bedanken uns.

„Von Pfannkuchen und fremden Kulturen

Ein Reisebericht von Kerstin W

Wer sich von diesem Bericht Anregungen für exotische Mehlspeisen erhofft, wird jetzt vermutlich enttäuscht sein. Denn unsere Reise war zwar ein Abenteuer und Aufregung hatten wir mehr als genug, doch hat sie uns nicht an faszinierende Orte geführt, die wir bislang nur aus Reiseführern kannten und es war auch keine Reise, auf die wir uns voller Neugier und Freude begeben haben. Statt Landesgrenzen zu überqueren, haben wir unsere eigenen psychischen und emotionalen Belastungsgrenzen kennengelernt und auch mitunter überschritten.

Unsere Reise begann im Winter 2016/2017, als unser ältester Sohn Finn die erste Klasse der hiesigen Grundschule besuchte. Nach nur wenigen Wochen stellte er fest, dass er und die Schule wohl keine dauerhafte Verbindung eingehen würden. Als die sehr kurze Phase der anfänglichen Begeisterung vorüber war, waren es zuerst die Hausaufgaben, die der einsetzenden Demotivation zum Opfer fielen. Danach beklagte er sich über die langen Schultage, das frühe Aufstehen, die unbequemen Holzstühle, auf denen ihm die Beine einschliefen, die langweiligen Arbeitsblätter, das unfreundliche Benehmen seiner Lehrerinnen und überhaupt gab es rein gar nichts, das ihm an der Schule gefiel. Nachdem sich die Situation dermaßen zuspitzte, dass er morgens weinend und brüllend in seinem Bett saß und sich weder durch gutes Zureden noch durch pädagogisch zweifelhafte Überzeugungsversuche dazu bewegen ließ, der Schule noch eine Chance zu geben, fanden wir Eltern uns in der Situation wieder, eine Entscheidung treffen zu müssen. Zu unserem Sohn halten und die Sache mit ihm gemeinsam durchstehen oder – um welchen Preis auch immer – die Schulpflicht durchsetzen.

Nach einem Wochenende Bedenkzeit teilten wir der Schule montags mit, dass sich unser Sohn entschieden habe, nicht mehr zur Schule zu gehen. Noch in derselben Woche meldete die Schule uns bei Jugendamt, Schulamt und Ordnungsamt. Wir versuchten noch ein paar Monate lang, die Verbindung mit der Schule aufrechtzuerhalten, indem wir immer freitags die Materialien der vergangenen Woche in der Schule abholten. Finn hat nie etwas davon bearbeitet, aber er hatte immerhin die Möglichkeit dazu, falls er es sich irgendwann anders überlegt hätte. An einem Freitag übernahm mein Mann die wöchentliche Fahrt zur Schule. Während Finn daneben stand, wechselte die Lehrerin mit meinem Mann ein paar Worte und meinte irgendwann, Kinder seien wie Pfannkuchen – der erste werde meistens nichts. Nach jenem Freitag haben wir keine Arbeitsblätter mehr von der Schule geholt.

Ein weiteres Highlight dieses ereignisreichen ersten Jahres war der unangemeldete Hausbesuch des Jugendamts, bei dem der Mitarbeiter leider vor verschlossener Tür stand, weil wir zu dieser Zeit ein Museum besuchten. Wir luden ihn erneut zu uns nach Hause ein, in der naiven Hoffnung, dass er schon sehen würde, dass unsere Kinder gut versorgt und alles andere als vernachlässigt oder gefährdet seien. In dem knapp halbstündigen Gespräch wurde uns das alles auch bestätigt, jedoch mit dem Hinweis, dass nun einmal Schulpflicht herrsche, dass wir ein Strafverfahren zu befürchten hätten und dass es doch an irgendetwas liegen müsse, wenn unser Sohn nicht in die Schule geht, während alle anderen Kinder es schaffen. Als mögliche Ursachen nannte er psychische Beeinträchtigungen, Ängste, Phobien und Depressionen. Ob wir unseren Sohn denn auch verhungern ließen, falls er die Nahrung verweigerte. Die aufgebaute Drohkulisse umfasste auch die Ankündigung, das Schulamt werde alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen um den Schulbesuch durchzusetzen und wir Eltern hätten keine Möglichkeit, uns zu wehren. Mit dem Verweis auf stationäre Hilfe in Form einer Heimunterbringung hinterließ er uns die Adresse der Erziehungsberatung sowie eine Liste von Psychologen und Psychiatern, deren Hilfe wir in Anspruch nehmen sollten.

Diese schockierende Begegnung vermittelte uns einen Vorgeschmack auf den weiteren Verlauf unseres Abenteuers im Jahr 2017. Nachdem das Jugendamt etliche Wochen nach unserem halbstündigen Termin zu der Erkenntnis kam, dass die Drohungen nicht die gewünschte Wirkung gezeigt hatten, wurde das Familiengericht angerufen und im Sommer 2017 saßen wir dem relativ jungen Familienrichter gegenüber, der ungefähr 90 Minuten lang unentwegt unsere Akte studierte und eine irritierende Mischung aus Feindseligkeit und Ratlosigkeit zur Schau stellte. Er fragte das Jugendamt, ob man den Jungen herausnehmen solle, was das Jugendamt verneinte. Er fragte das Jugendamt, ob ein Familienbeistand Sinn mache, was das Jugendamt verneinte. Er fragte das Jugendamt, was er denn jetzt machen solle, woraufhin das Jugendamt erklärte, keinen Plan B zu haben. Die wenigen an uns Eltern gerichteten Fragen waren aggressiv und vorwurfsvoll formuliert und eher rhetorischer Natur. Bei einer der wenigen Gelegenheiten, bei denen wir zu Wort kamen, wies ich darauf hin, dass in anderen Ländern Heimunterricht oder Homeschooling erlaubt und selbstverständlich sei. Zum Beispiel in Frankreich. Darauf antwortete der Richter, Frankreich sei ja auch ein anderer Kulturkreis. Schließlich kam er zu der Erkenntnis, an dieser Stelle keine Entscheidung treffen zu können und beschloss, ein Gutachten in Auftrag zu geben.

Zwei Monate später im September 2017 wurde unsere Tochter in die erste Klasse derselben Grundschule eingeschult und die ersten Vorfälle kamen prompt. Die Klassenlehrerin führte mit den Kindern ein Toilettentraining durch, um sie daran zu gewöhnen, ausschließlich in den Pausen auf Toilette zu gehen. Im Klassenraum gab es ein Ampelsystem, mit dem die Kinder lernen sollten, während des Unterrichts still zu sein. Kinder, die störten, wurden von der Lehrerin angeschrien, ihre Stifte und Mäppchen wurden vom Tisch gefegt, sie wurden am Arm aus dem Klassenzimmer gezerrt und mussten auf dem Gang sitzen. Genau diese Lehrerin hatte an der Grundschule das Amt der Beratungslehrerin inne und mit unserem Sohn im Mai 2017 ein vertrauliches Beratungsgespräch wegen seiner »Schulverweigerung« geführt. Dieses Beratungsgespräch hatte die Lehrerin in Finns Hausaufgabenheft mit einem Dreizeiler kommentiert, meine Nachfragen, ob es denn auch einen Bericht über das Gespräch geben werde, wurden mehrmals verneint.

Aufgrund der vielen schlimmen Ereignisse in Runas Klasse führten wir Anfang 2018 ein Gespräch mit der Klassen- bzw. Beratungslehrerin und der Rektorin. Während des Gesprächs kamen wir erneut auf den Beratungstermin mit Finn zu sprechen und die Beratungslehrerin verneinte nochmals meine Frage, ob es denn einen Bericht zu diesem Gespräch gäbe. Eben diesen Bericht hatte ich inzwischen auf Umwegen erhalten, er war von der Beratungslehrerin ohne unser Wissen und unsere Zustimmung an das Schulamt weitergeleitet worden, welches sich auch als Auftraggeber des Beratungsgesprächs ausgab. Ich legte der Beratungslehrerin den angeblich nicht existierenden Bericht vor. Danach war das Gespräch ziemlich schnell zu Ende. Diese Lehrerin hatte übrigens nicht nur den Bericht unterschlagen, sondern sie wurde ausgerechnet durch das Schulamt, dem gegenüber sie eigentlich hätte Schweigepflicht bewahren müssen, von eben dieser Schweigepflicht entbunden. An der Situation für unsere Tochter änderte das alles nichts.

Im Herbst 2017 fand die Verhandlung zu unserem Bußgeldverfahren statt und die junge Richterin tat sich so schwer mit ihrer Entscheidung, dass drei Verhandlungstage angesetzt wurden. Die Angelegenheit schien von solcher Bedeutung zu sein, dass der Leiter des Ordnungsamts persönlich anwesend war und mit uns diskutieren wollte. Auf den Einwand unseres Anwalts, dass er kein Verhörrecht besitze, reagierte er mit Verärgerung. So etwas sei ihm noch nie untergekommen. Er hielt dennoch einen glühenden Vortrag über faule Äpfel und ihre ansteckende Wirkung auf das übrige junge Obst und es war offensichtlich, dass unserem Sohn in dieser fantasievollen Metapher die Hauptrolle zugedacht war. In dieser Verhandlung konnten wir erstmals unsere Sicht auf die Situation darlegen, die junge Richterin war offen und hörte sich alles an. Entsprechend erfreulich fiel das Urteil für uns aus.

Die ebenfalls junge Psychologin, die vom Familiengericht als Gutachterin bestellt worden war, nahm im Herbst 2017 den Kontakt mit uns auf. Es folgten mehrere Termine und zahlreiche Fragebögen. Wir hatten das Gefühl, dass sie unvoreingenommen und offen an die Begutachtung heranging, und das Gutachten, das sie im Dezember 2017 vorlegte, hätte für uns kaum besser sein können. Sie beschrieb die positive Bindung zwischen den Kindern und uns Eltern, den liebevollen und bedürfnisorientierten Umgang und stellte keinerlei Defizite weder im sozialen noch im Bildungsbereich fest. Sie sprach sich eindeutig gegen eine Herausnahme aus der Familie aus, da diese höchstwahrscheinlich zu einer schweren psychischen Beeinträchtigung führen würde. Dennoch empfahl sie Maßnahmen zur Reintegration Finns in die Schule.

Nach diesem Gutachten hörten wir nichts mehr vom Familiengericht und es folgte eine relativ ruhige Phase. Im Herbst 2018 wurde unser jüngster Sohn Leif eingeschult. Auch hier kam es ganz schnell zu unangenehmen Ereignissen. Wir beantragten erfolglos einen Klassenwechsel und nach einem ersten Schuljahr mit enormen Fehlzeiten beschloss Leif in den Sommerferien 2019, dass er genügend Herabwürdigungen, Strafmaßnahmen und abfällige Sprüche ertragen habe und nicht mehr in die Schule zurückkehren würde. Dieser Dialog zwischen ihm und mir wenige Wochen nach seiner Einschulung illustriert seine Gefühle für die Schule sehr treffend. Ich: Und, wie ist es so in der Schule? Leif: Nicht gut. Wir sollten Frau W. verhaften lassen. Ich: Ach ja, weswegen denn? Leif: Wir sagen, sie hat Diebstahl gemacht. Ich: Was hat sie denn geklaut? Leif: Die Freude von uns Kindern. Ein halbes Jahr später gab übrigens auch unsere Tochter die Hoffnung auf, dass durch den inzwischen dritten Lehrerwechsel in der dritten Klasse die Schule wieder mehr Spaß machen würde. Sie ging nach den Weihnachtsferien im Januar 2020 noch einen Tag in die Schule, um ihren Spind auszuräumen und war seitdem nie wieder dort.

Das Familiengericht wusste mit dem in Auftrag gegebenen Gutachten offensichtlich nichts anzufangen und ließ unseren Fall für fast zwei Jahre liegen. Im Sommer 2019 wurde eine erneute Anhörung angesetzt, bei der die junge Gutachterin vom Richter massiv unter Druck gesetzt wurde. Am Ende wurde beschlossen, dass das Gutachten nicht mehr aktuell und ein neues Gutachten notwendig sei, die Gutachterin lehnte die erneute Durchführung ab. Mit dem neuen Gutachten wurde der Leiter der hiesigen Kinder- und Jugendpsychiatrie beauftragt, der im November 2019 Kontakt mit uns aufnahm. Diese Begutachtung unterschied sich ganz gravierend von der ersten. Während sich die junge Psychologin sehr korrekt verhalten und offensichtlich um Neutralität bemüht hatte, trat der Psychiater sehr dominant und konfrontativ auf. Er betrachtete die Schulpflicht als gegeben und entwarf erneut ein Bedrohungsszenario mit einer stationären Unterbringung unseres Sohnes als ultima ratio. Mit einem zunehmend unguten Gefühl nahmen wir dennoch an der Begutachtung teil und hielten schließlich im Februar 2020 das katastrophale Ergebnis in den Händen. Der Gutachter konstatierte eine symbiotische Beziehung zwischen mir und Finn, zusätzlich bei Finn eine isolierte Rechtschreibstörung. Das vor Rechtschreibfehlern übersäte Gutachten wimmelte vor Spekulationen und unbegründeten Behauptungen. So wurde uns ein dysfunktionaler und permissiver Erziehungsstil attestiert, es wurde eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für psychische Störungen bei Finn behauptet und der Gutachter argumentierte, dass es unsere Bindung zu Finn stärken würde, wenn wir ihn in die Schule zwingen würden, da wir gemeinsam »im gleichen Boot« sitzen würden. Finns Schulverweigerung sah der Gutachter in einer unterstellten überprotektiven Haltung und einer Trennungsangst bei Finn begründet. Problematisch fand der Gutachter ebenfalls unsere »chronische Inakzeptanz der rechtlicher [sic] Norm« und er zeigte sich empört darüber, dass wir die im ersten Gutachten empfohlenen Maßnahmen noch nicht einmal erwogen hätten. Da ambulante Maßnahmen die Chronifizierung der Schulverweigerung nur noch verstärken würden, sei zunächst eine tagesklinische Therapie und bei ausbleibendem Erfolg eine stationäre Unterbringung in einer kinderpsychiatrischen Klinik angezeigt. Die passende Einrichtung wurde gleich mit empfohlen. Selbstverständlich sei zur Durchführung der Maßnahmen ein teilweiser Entzug des Sorgerechts notwendig.

Diese Vorlage griff das Jugendamt in seiner Stellungnahme begeistert auf und machte darüber hinaus noch den Vorschlag, uns »neben der Aufenthaltsbestimmung und der Gesundheitsfürsorge weitere Teilbereiche des Sorgerechts zu entziehen«. Da das Jugendamt die Zuführung unseres Sohnes in die Psychiatrie nicht mit Zwang durchsetzen könne, »müssten vermutlich Polizeibeamte hinzu gezogen werden«.

Es gehört zu den Wunderlichkeiten dieser fünf Jahre, dass der Gutachter das Gutachten just in dem Moment beim Gericht ablieferte, als wir wegen des Nichtschulbesuchs unserer beiden jüngeren Kinder in der Anhörung saßen. Nach einem Richterwechsel war nun eine relativ junge Richterin für unseren Fall zuständig und sie sah in der Schulverweigerung Runas und Leifs keine Kindeswohlgefährdung, sodass das Verfahren nach diesem Termin zumindest für die beiden beendet war. Finns komplexen Fall konnte sie jedoch nach dem desaströsen Gutachten nicht einfach abschließen. Im September 2020 fand eine erneute Anhörung statt, diesmal gab es auch ein Gespräch zwischen Finn und der Richterin. Der folgende Beschluss des Familiengerichts sah eine Helferkonferenz mit Schule, Jugendamt und uns vor, außerdem eine Therapie der angeblichen Rechtschreibstörung sowie eine sozialpädagogische Familienhilfe.

Da diese Maßnahmen für uns inakzeptabel waren, reichten wir im Oktober 2020 beim Oberlandesgericht in Bamberg Beschwerde gegen den Beschluss ein. Im Sommer 2021 fand dort die Anhörung mit Anwesenheit des Gutachters, der Verfahrensbeiständin, uns Eltern und unserem Anwalt statt. Ebenfalls anwesend war die junge Mitarbeiterin des Jugendamts als Nachfolgerin des überraschend plötzlich in den Ruhestand gegangenen bisherigen Mitarbeiters sowie ihre Kollegin. Auch Finn war geladen und musste weit über eine Stunde lang dem dreiköpfigen Senat, dem Gutachter sowie der Verfahrensbeiständin Rede und Antwort stehen, bevor die gut vierstündige Anhörung mit uns übrigen Beteiligten begann. Auf die Anhörung will ich in dieser Stelle nicht eingehen, sie zog sich lange hin und während der langen Vorträge des Vorsitzenden tat ich mein Bestes, um den prüfenden Blicken der beiden Richter und der Richterin standzuhalten und unsere Beweggründe und unsere Perspektive darzustellen.

Der Moment, als nach wenigen Wochen die Verfügung eintraf, in der klar wurde, dass all die grausamen Vorschläge des Gutachters und des Jugendamts nicht wahr werden würden, war unbeschreiblich. Neben Erleichterung darüber, dass wir nun keine Inobhutnahme oder irgendwelche anderen absurden Maßnahmen mehr zu befürchten hatten, kam auch ganz viel Wut auf die Menschen auf, die so leichtfertig die Zerstörung einer ganzen Familie in Kauf genommen und die Zukunft unserer Kinder aufs Spiel gesetzt hatten sowie Entsetzen darüber, dass so etwas überhaupt möglich ist.

Wer den Beschluss lesen möchte, findet ihn im Internet unter dem Aktenzeichen 2 UF 220/20. Knapp zusammengefasst stellt das Oberlandesgericht zwei wesentliche Punkte fest: Erstens stellt ein Nichtschulbesuch nicht per se eine Kindeswohlgefährdung dar, vielmehr muss dies in jedem Einzelfall überprüft werden. Zweitens ist die Durchsetzung der Schulpflicht nicht die Aufgabe des Familiengerichts. Damit haben wir nun für alle drei Kinder familiengerichtliche Beschlüsse, welche eine Kindeswohlgefährdung aufgrund ihres Nichtschulbesuchs, die Maßnahmen erfordern würde, verneinen.

Ich könnte noch endlos weiterschreiben über die vielen enttäuschenden Gespräche mit der Schule und dem Schulamt; über unsere vergeblichen Anträge zur Aussetzung der Schulpflicht; über die ausgeschlagenen Einladungen des Jugendamts zu einem Gespräch mit Finn; über das Herzklopfen beim Gang zum Briefkasten und meine Abneigung gegen recyclinggraue Briefumschläge; über die Monate, in denen ich nach der Hunderunde mit weichen Knien in die letzte Kurve eingebogen bin in der Erwartung, ein Polizeiauto vor unserem Haus stehen zu sehen; über das Verhalten der Verfahrensbeiständin, die aufgrund eines »Missverständnisses« vor unserem Haus eine Stunde lang mit einem völlig überrumpelten 9-Jährigen gesprochen hat, während wir in ihrem Büro auf sie gewartet haben, über zahlreiche Datenschutzverstöße oder über die vielen kleinen sonstigen Absurditäten, die uns im Laufe der fünf Jahre begegnet sind.

Stattdessen möchte ich danke sagen. Ich danke meinen Kindern dafür, dass sie mir immer vertraut und mir die Kraft für alles gegeben haben. Ich danke besonders Finn, der sich in den Anhörungen tapfer geschlagen hat und mit seinem positiven Eindruck beim Oberlandesgericht ganz wesentlich zu diesem großartigen Beschluss beigetragen hat. Ich danke auch meinen Kindern Runa und Leif, die so selbstbewusst und stark immer bei sich geblieben sind und mir ihre Nöte anvertraut haben. Ich danke den lieben Freundinnen, die bereit waren, teils über viele Stunden hinweg sich um unsere Kinder zu kümmern, während wir uns vor Gericht verantworten mussten. Ich danke den vielen Menschen da draußen, die uns während der ganzen Zeit Mut zugesprochen und uns die Daumen gedrückt haben. Ich danke dem BVNL und vor allem der Freilernersolidargemeinschaft, durch deren Unterstützung zumindest die finanzielle Belastung etwas kleiner geworden ist. Und ein großes Dankeschön geht an unseren Anwalt, Jost von Wistinghausen, den wir über die Jahre hinweg als loyalen und kompetenten Verfechter der selbstbe- stimmten Bildung an unserer Seite wussten und der uns immer wieder geholfen hat, die Zuversicht zu bewahren.

Für uns geht nun ein Kapitel zu Ende und ich merke, dass die vergangenen fünf Jahre ihre Spuren hinterlassen haben. Es fühlt sich an wie die Heimkehr nach einer langen anstrengenden Reise, nach der man kaum noch die Kraft aufbringt, die Koffer auszupacken. Und während ich meinen Bericht beende, denke ich mir, dass ich jederzeit alles wieder ganz genau so machen würde. Für meine drei liebsten Pfannkuchen der Welt. Und wer weiß, vielleicht gehören ja auch wir irgendwann diesem fremden Kulturkreis an, in dem Schule und Bildung keine Synonyme sind und in dem das Recht auf Bildung nicht in eine Pflicht zum Schulbesuch verdreht wird.

Die wesentlichen Aussagen des am 22.11.2021 am Oberlandesgericht Bamberg ergangenen Beschlusses lauten:

  1. §§ 1666, 1666a BGB ermöglichen lediglich ein staatliches Einschreiten zur Abwehr einer konkreten Kindeswohlgefährdung, nicht die Durchsetzung einer bestmöglichen Förderung des jeweils betroffenen Kindes.
  2. Im Falle einer Schulverweigerung kann nicht automatisch eine Kindeswohlgefährdung angenommen werden, sondern alle wesentlichen Aspekte des konkreten Einzelfalls sind zu ermitteln und hinsichtlich einer konkreten Kindeswohlgefährdung zu bewerten. Allgemeine Erwägungen reichen zur Begründung einer konkreten und erheblichen Gefährdung im Sinne des § 1666 Abs. 1 BGB nicht aus.
  3. Für die Einhaltung der Schulpflicht zu sorgen ist nicht Aufgabe des Familiengerichts. Vielmehr stehen der Schulbehörde hierfür die sich aus Art. 118, 119 i.V.m. Art. 35 BayEUG ergebenden Maßnahmen zur Verfügung, die von dieser in eigener Zuständigkeit zu prüfen sind. (Quelle: gesetze-bayern.de)

Der Beschluss im Volltext ist im Internet unter dem Aktenzeichen 2 UF 220/20 z.B. bei gesetze-bayern.de, openjur.de und dejure.org einzusehen.“