Heute möchte ich eine „allgemeine“ Geschichte der Begeisterung teilen. Was ich damit meine: ein Überblick über eine Entwicklungsgeschichte, und eben nicht die einzelnen – so spannenden – Entwicklungsschritte. Diese Geschichte der Begeisterung gibt einen Einblick, was beim selbstbestimmten Lernen alles „losgehen“ kann. Welches unglaublich große Feuer entfacht werden kann. Und ist letztendlich aber nur eine Geschichte von vielen.
Mein Sohn ist acht Jahre alt. Seit er vier Jahre alt war, beschäftigt ihn das Thema „Dinosaurier“. Was klein und still begann – mit einem alten Buch über Urzeitlebewesen – entwickelte sich zu einem mitreißenden „Fieber“, das einen Schritt nach dem anderen vorantrieb. Nach diesem einen Buch erschuf sich mein Sohn eine wahre “Dino-Bibliothek”. Sämtliche Bücher und Zeitschriften wurden von mir und meinem Mann gerne zur Verfügung gestellt. Immer in Absprache mit unserem Sohn. Und immer nur dann, wenn er nach Neuem verlangte. Diesen Schritt finde ich ungemein wichtig: Nicht der Erwachsene, der Begleiter, gibt das Tempo vor, sondern der junge Mensch. Denn nur er weiß, wann es Zeit für Neues ist. Mein Sohn konnte sich oft monatelang mit nur einem Buch beschäftigen. Es wurde nicht nur vorgelesen und später selbst gelesen, sondern diente als Vorlage oder Inspiration für Zeichnungen und Basteleien oder war Vergleichswerk für andere Bücher, die wir in diesem Zeitraum lasen.
Den genauen „Fieberverlauf“ kann ich nicht mehr wiedergeben. Deshalb hier einfach ein paar Auszüge:
Mein Sohn hatte zB einen Phase (da war er ca. 5), in der er ganz viele Dinosaurier knetete. Er setzte sich mit seinem „Dino-Atlas“ (ein Überblickswerk) hin und knetete die Dinosaurier nach. Bereits hier achtete er sehr auf Details und ließ diese in sein Schaffen einfließen. Zwischendurch ruhte das Thema auch immer mal wieder. Aber jedes Jahr im Winter tauchte es von selbst wieder auf. Und das Wissen ging dort weiter, wo es ein Jahr davor aus freien Stücken “belassen” worden war. Diesen Verlauf kenne ich nicht nur von ihm und seiner Beschäftigung mit Dinosauriern. Viele andere Eltern beobachten dasselbe Phänomen: Ein Thema kann manchmal für einige Zeit verschwinden; manchmal sogar für lange Zeit; oder „für immer“: Aber wenn es wieder kommen soll, dann kommt es auch wieder. Und der junge Mensch knüpft dann an seine vorherigen Erfahrungen an.
In den heißen Phasen der Auseinandersetzung kam auch immer der Wunsch auf, Museen zu besuchen, die sich mit Dinosauriern beschäftigen. Das Naturhistorische Museum Wien wurde “ein zweites Wohnzimmer” (ohne Übertreibung). Die Schwerpunkte verlagerten sich immer wieder: Einmal ging es mehr um die Entwicklung der Erde, die Entstehung der Kontinente, die Benennung der Zeitalter, die Entwicklung der Tiere und Pflanzen. Dann waren es mehr die Fossilien, die ins Zentrum rückten: Was ist das, wie entstehen sie, wo sind die größten Ausgrabungsstätten. Dabei fand “ganz nebenbei” ein “Haufen” Geografie, Biologie und Geschichte statt. Bis hin zur Entwicklung des Menschen. Außerdem begann eine intensive malerische Beschäftigung mit dem Thema. So viele Bilder entstanden, dass Mappen angelegt wurden, gelocht, nummeriert, mit Datum versehen, einsortiert. Dazwischen gab es Dinosaurier-Rätselhefte. Hierbei kam es – ganz automatisch – zu einer Erweiterung Schreibkompetenz meines Sohnes. Außerdem wurde viel gebastelt: Dinosaurier aus verschiedensten Materialien. Es wurde gemessen, geschnitten, geklebt. Es wurden Bücher hergestellt, Fotos eingeklebt, Dinosaurier nach Alphabet geordnet, Briefe an Museen oder Dino-Parks geschrieben. All das war immer und zu jedem Zeitpunkt von ihm selbst initiiert, angeregt, gewünscht.
Die Lesekompetenz erweiterte sich ebenfalls “nebenbei”. Über das intensive Interesse, das viele Vorlesen, das Merken, das Kombinieren: Aus all dem entwickelte sich sein Lesen weiter. Heute liest er komplizierte wissenschaftliche Texte, liest daraus vor und tippt Texte auf der Schreibmaschine ab. Außerdem baut er mit Lego eigene Dino-Modelle, die er an Zeitschriften schickt. Und und und… das eine führt zum anderen. Es ist wie eine Kettenreaktion. Wie der bekannte Dominoeffekt. Menschen, die begeistert sind und respektiert werden, sind einfach nicht zu bremsen. Die Dinosaurier waren bei meinem Sohn ein Aufhänger. Daran bewegte er sich weiter und weiter und weiter. So wie es bei vielen anderen Themen schon der Fall war und noch bei vielen weiteren Themen der Fall sein wird…
Susanne Sommer, 2021