Alle Jahre wieder kommen rund um den Schulanfang diverse Medienanfragen zum Thema Freilernen. Entweder über die Plattform des Netzwerkes der Freilerner in Österreich, bei dem wir seit Anfang an aktiv ehrenamtlich tätig sind, oder direkt zu uns. Das ständig steigende Interesse an alternativen Bildungswegen ist erfreulich, doch nicht immer sind die Anfragen oder die daraus resultierenden Ergebnisse so, wie man sich professionelle, neutrale und gut recherchierte Berichterstattung erwartet.
Die diesjährigen Anfragen sind durchwegs in einem unterschwellig drohendem Tonfall gehalten und versuchen krampfhaft Verbindungen herzustellen, die das Netzwerk in eine braune, staatsverräterische, esoterische oder sonstwie Ecke stellen. Die Stärke des Freilernens sowie auch des Netzwerks ist aber gerade die unglaubliche Diversität, die bunte Mischung quer durch die Gesellschaftsschichten und Weltanschauungen. Wir sind keine homogene Gruppe, sondern sehr unterschiedliche Menschen, denen das Thema der freien Bildung wichtig ist. Klarerweise kann es vorkommen, dass Mitglieder Privatmeinungen und -interessen haben, die sich mit den Werten und Zielen des Vereins nicht oder nur teilweise decken. Genau so, wie im Fußball-, Musik- oder Schrebergartenverein auch.
Trotzdem ist es natürlich absolut wichtig und richtig, Position zu beziehen und Klarheit zu schaffen. Daher ist es mir ein Anliegen, hiermit festzustellen, dass wir nicht gegen Schule sind und auch keinen Kampf gegen das Schulsystem führen. Wir stehen für Offenheit, Transparenz, Vielfalt, Individualität und vorallem Dialog. Wir glauben an die Einzigartigkeit des Menschen, egal welchen Alters. Wir möchten die individuellen Gaben eines jeden Kindes fördern, unterstützen und zum Blühen bringen. Wir tun dies mit Liebe, Achtsamkeit und Vertrauen. Wir tun nichts Verbotenes und haben nichts zu Verstecken. Daher laden wir Menschen, die sich dafür interessieren, wie frei sich bilden in unserer Gesellschaft funktionieren kann, gerne ein, sich eine persönliche Meinung dazu zu bilden. Gerade weil es so schwer ist für jemanden, der sein Leben lang vom Schulsystem geprägt ist, sich das vorzustellen.
Wir wünschen uns im Kontakt mit Behörden und Medien Offenheit, Neugier und die Bereitschaft, sich mit dem Thema auseinander zu setzen, damit eine lösungsorienterte Kommunikation möglich wird und ein Austausch entstehen kann. Man kann “die Freilerner” nicht in eine vorgeformte Box stecken, weil wir eben keine einheitliche Gesinnungsgruppierung sind. Freilernen ist KEINE Methode wie Laising, ist KEINE Schule wie Schetinin, ist KEIN Glaubenskonzept wie christliches Homeschooling, KEINE Erziehungsmethode wie Laissez Faire. Freilernen ist eine Lebenseinstellung, die uns die Freiheit schenkt, uns selbstbestimmt zu entwickeln, ganz egal wie alt man ist. Freilernen bedeutet, sich zu begeistern, eigenständige Lösungen zu finden, Vertrauen in sich und seine Umwelt zu haben, bedingungslose Liebe zu leben.
Freilernen ist natürlich, auch, wenn ich mich das schon fast nicht mehr zu sagen traue (In welcher Welt leben wir hier eigentlich?). Natürlich deswegen, weil es der menschlichen Art des Wissens- und Fähigkeitenerwerbs entspricht, wie wir ihn seit tausenden Jahren praktizieren. Oder haben Sie schon jemals eine Bedienungsanleitung für Ihren Drucker auswendig gelernt, obwohl der Drucker gar nicht kaputt war – oder Sie gar keinen Drucker besitzen, aber eventuell irgendwann einmal einen kaufen möchten? Ich erlaube mir, diese Frage für Sie zu beantworten: Nein! Sie suchen erst dann selbstbestimmt nach Lösungen, wenn Sie ein Problem haben mit ihrem Drucker. Und Sie lernen ihn erst dann zu reparieren, oder zu bedienen, wenn Sie es brauchen. DAS ist Freilernen. JEDER von uns praktiziert es immer und überall, bis ans Lebensende!
Frei sich bilden kennt keine Grenzen. Von einem punktuellen Interesse an einem Themengebiet (wie bei unserem Sohn zB. Pokemon-Karten) ufert es aus in alle Bereiche der Bildung, des Zusammenlebens und der Kompetenzen (Mit Pokemonkarten hat unser Sohn nicht nur Dividieren, Mulitiplizieren und Bruchrechnen gelernt, sondern sich auch in Folge mit Tierpflege, Biologie und Geldsystemen auseinandergesetzt). Wissensgebiete in Fächer zu unterteilen hilft dabei, den Überblick zu wahren, entspricht aber nicht unserer Lebens-Realität. Geschichte, Deutsch, Mathe, politische Bildung, Geographie, usw. sind untrennbar miteinander verbunden und weben gemeinsam das Netz unserer Gesellschaft und unserer Geschichte.
Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl von Kompetenzen, die sich nicht so einfach messen lassen, ganz vorne dabei Sozialkompetenz. Menschen brauchen soziale Struktur, um sich geliebt und glücklich zu fühlen. Unsere Aufgabe als Eltern ist das achtsame Begleiten der Lernprozesse und Lernorte, Spezialisten, Plattformen, Medien aller Art zur Verfügung zu stellen, damit sich der junge Mensch entfalten kann. Damit er zum Teil der sozialen Struktur unserer Gesellschaft werden kann. Dazu braucht es möglichst breit gefächerten Kontakt mit anderen Menschen aller Altersstufen. Daher zeigen wir unseren Kindern so viel wie möglich von unserer Lebensumwelt, nehmen sie mit ins reale Leben, bieten ihnen weit gestreute Lernmöglichkeiten an, gehen auf Reisen und lassen sie Teil unseres Alltags sein.
Freilernen stärkt die Familie (Auch da muss man in der Zwischenzeit sehr vorsichtig sein, man könnte ja als rückwärtsgewandter Nazi abgestempelt werden, wenn man sich zu einem Wert wie Familie bekennt). Freilernen schafft eine liebevolle, nährende, auf Vertrauen und gegenseitige Achtung basierende Umgebung, in der sich alle Mitglieder entfalten und ihre Träume leben können. Freilernen sucht nicht mit dem Rotstift die Mängel und Fehler, sondern fördert die Fähigeiten jedes Einzelnen. Wie diese Familie aussieht ist klarerweise wieder sehr individuell verschieden: Von der klassischen Konstellation über Alleinerzieher bis hin zu Gemeinschaften, die sich gegenseitig unterstützen.
Das Wohl des Kindes steht dabei an oberster Stelle. Wir sind durchaus nicht abgeneigt, eine Art Begleitungssystem für Freilerner-Familien zu installieren, um Missbrauch und Vernachlässigung entgegen zu wirken. Denn leider gibt es überall Schwarze Schafe, im und außerhalb des Schulsystems. Dazu haben wir viele Realisierungsideen, die wir sehr gerne mit den zuständigen Behörden besprechen würden. Wir freuen uns jederzeit über lösungsorientierte Kommunikation!
Wir alle sind gefordert, neue Wege zu finden für unsere sich ständig schneller drehende Gesellschaft. Gleichzeitig ist es von absoluter Wichtigkeit unseren Kindern ein sicheres Nest zu bieten, ihnen Wurzeln zu geben, die es ihnen erlauben, ihre Flügel auszubreiten. Neue Wege heißt auch, über das Gewohnte, das Althergebrachte nachzudenken, über den eigenen Tellerrand zu schauen, aus der Box rauszugehen. Kritisch zu hinterfragen, wohin unsere Gesellschaft sich bewegt. Sich Glück und Zufriedenheit zuzugestehen und zu erlauben, damit ein MITANANDA lebbar wird.
Mag. Karin Siakkos, Erstveröffentlichung auf dem Mitananda H.O.F.-Blog