Der Winter hatte es hier ja immer schon in sich. Gerade in Bezug auf Rechnen, Schreiben, Lesen und all die anderen üblichen Themen angefangen bei Biologie und Geschichte über Geografie, Somatologie, Physik, Chemie und so weiter und so fort. Einem Virus gleich verbreiten sich hier die intensiven Interessen an den einzelnen Themen und gelegentlich, wenn ich so meine Blicke über den überladenen Tisch und die darum versammelten Kleinen gleiten lassen, werde ich den Eindruck nicht los, mich mitten im Zentrum des Lernens und „in sich Aufsaugens“ zu sitzen. Noch Stunden später schwirrt mein Kopf von dieser Wissbegierde und der Dichte an Informationen. Von diesen wahren Explosionen und Feuerwerken an AHA-Momenten´und dem beständigen Versuch meinerseits (oder auch unsererseits als Eltern) nicht den Überblick zu verlieren.
Alles auf einmal und immer alles anders
Bio steht da … wie selbstverständlich erklärt mir die soeben vier gewordene Kleine, was da auf der Packung steht. und da Apfelsaft (nicht ganz … da steht Apfelessig … aber bei Apfel auf einer Flasche wo Flüssigkeit drinnen ist, liegt die Vermutung wohl nahe dass es sich hier bei dem was nach dem Apfelwort kommt nur um SAFT handeln kann) Weitere Buchstaben werden erläutert, bevor sie mit einem und jetzt geh ich schreiben davon springt. Ihr Interesse an Buchstaben besteht seit letztem Sommer, als sie mir plötzlich die Buchstaben ihres Namens brachte und mir erklärte, dass die alle zu ihren Namen gehören würden. Mittlerweile schreibt sie alles nach, was sich in der näheren Umgebung findet oder lässt sich vorschreiben. Und abermals ist dieser Prozess des Lesen und Schreiben Lernens, ein ganz eigener. Anders als bei ihren älteren Geschwistern. Neu und spannend zu gleich, vor allem auch, weil es vergleichsweise früh geschieht diesmal und so schnell geht …
Ihre drei Jahre ältere Schwester lernt schreiben anders. Und auch da darf ich wieder einmal erkennen, dass es keinen einheitlichen Weg gibt (oder geben kann). Denn sie lernt Druckschrift und Schreibschrift und Rechtschreibung in einem. Zwei Hefte hat sie mittlerweile auf diese Variante gefüllt. Ich muss die Worte vorschreiben, die sie mir ansagt, in Schreibschrift und Druckschrift und sie schreibt nach …
Das spannende am freien Lernen sind gerade diese Sprünge, die da von den jungen Menschen mitunter vollbracht werden. Von 0 auf 100 sozusagen. Von (offensichtlichem? vermeintlichem?) Desinteresse an Rechnen und Zahlen zu Rechnen im Hunderterbereich, vom Nichtlesen zum Lesen … einfach so, weil es gerade Spaß macht.
25 Seiten im Rechenbuch, mal eben durchgerechnet, in einem Tempo welches mich umhaut .. einfach so, weil es eben Spaß macht … um es dann mit den Worten „jetzt bin ich aber satt“ beiseite zu legen und sich abermals dem Schreiben zu widmen. Schnell mal ein Comic gezeichnet und mit englischem Text versehen … „… weil das spannender ist“ Hilfsmittel, das Wörterbuch, ein Buch mit englischem Text und das gelegentliche Nachfragen … Mal eben so ein Brettspiel erfunden, weil all die anderen Spiele schon so langweilig sind und nebenbei das kleine 1×1 gelernt. Bei der Zeitungspapierschneeballschlacht etwas über die Berechnung von Geschwindigkeit herausgefunden und dann gleich – mal eben so, weil es Spaß macht – etliche Geschwindigkeitsberechnungen gemacht … Physik im Alltag.
Da geschehen Dinge, mit denen habe ich nur peripher zu tun. Nur gerade so viel, wie Begleitung verlangt wird und wie in meinem BUCH „Gehts auch ohne Schule“ geschrieben, scheint genau das jene Förderung zu sein, die kleine Menschen brauchen. Förderung, die sich ausschließlich darauf beschränkt, ihnen mit offenen Ohren und Augen zu begegnen und das aufzugreifen, was da gerade von ihnen kommt. Neben einer lebendigen Umgebung und der Bereitschaft der Erwachsenen sich gelegentlich mal Zeit zu nehmen.
Zeitintensiv …
Ja zeitintensiv ist das mitunter. Vor allem dann, wenn alle auf einmal etwas wollen oder brauchen … oder auch dann, wenn das Thema auch mich fesselt und wir von einem Thema zum nächsten springen um darüber die Zeit zu vergessen. Übersehen wird bei diesem Vorwurf der Zeitintensität meist, dass hier – beim freien und selbstbestimmten Lernen – nichts einseitig geschieht.
Man darf sich das nicht wie Unterricht in einer Schule vorstellen. Nicht dieses Durchkauen der einzelnen Themen. Und auch nicht wie etwas, was täglich wiederkehrt. Phasenweise wird man gar nicht gebraucht und bekommt von all dem nur so viel mit, wie die Kleinen bereit sind zu zeigen und dann gibt es solche Phasen wie jetzt gerade …. und wie sie eigentlich jeden Winter in unterschiedlicher Intensität eintreten. Und ja, in diesen Phasen ist das gelegentlich ganz schön intensiv und führt dazu, dass andere Dinge mal liegen bleiben.
Aber das ist es mir wert. In jedem einzelnen Augenblick, in dem ich diese wahren Explosionen und Feuerwerke miterleben darf. In jedem einzelnen Augenblick, in dem sich diese wunderbar intensiven Gespräche entwickeln, in denen uns die Kleinen und größeren Kleinen flüchtige Einblicke in ihre Gedankenwelt gewähren. In jedem einzelnen Augenblick, wo Lernen ganz einfach geschieht und es nicht einmal auffällt …. einfach, weil es Spaß macht.
erstmals veröffentlicht auf https://linilindmayer.com