Weniger ist mehr

 

Überfluss. Permanent. Überall und am besten ganz viel davon. Ganz viel Animation, ganz viel Programm, ganz viel Zeug … ohne Atempause dazwischen und in dem ständigen Gefühl, immer noch nicht genug zu tun. Ständig in Bewegung, kein Innehalten, keine Atempause, kein Verweilen im Augenblick, um einfach nur zu Sein und immer darauf bedacht, für die Zukunft zu denken. Sich im Hinblick darauf zu bewegen, danach zu handeln, mit einem bestimmten Ziel vor Augen. Vorsorglich. Vorausschauend … und meist mit der Angst im Nacken, trotz aller Sorgfalt möglicherweise etwas zu übersehen, oder einen Fehler zu machen. Und mit dem ständigen, unguten Begleiter, doch nie das „Richtige“ zu tun. Das trifft auf einen selbst ebenso zu, wie auf das Elternsein generell, wo nichts wichtiger zu sein scheint, als dem kleinen Menschen „etwas zu bieten“.
Muss das sein? Braucht es das? Ist es wirklich so, dass wir dadurch glücklicher, und die kleinen Menschen zufriedener werden? Sind wir nur dann – wenn wir in diesem selbst erschaffenen Hamsterrad laufen – gute Eltern? Werden die kleinen Menschen nur dann glücklich sein und sich gut weiterentwickeln?
In der Geschichte von Janosch über den kleinen Bären und den kleinen Tiger, in der sie in die Ferne reisen wollen, um ihr Glück zu finden und reich zu werden („oh wie schön ist Panama“) könnte es nicht treffender auf den Punkt gebracht werden. Diese Idee von der Ferne und vom Glück, welches man angeblich nur dort finden kann. Aber am Ende der Geschichte müssen der kleine Bär und der kleine Tiger erkennen, dass sich das Glück nicht in der Ferne finden lässt, sondern nur in sich selbst. Und dass es nicht darum geht, irgendetwas nachzulaufen, sondern im Endeffekt nur ums Sein.
Elternsein ist heute so oft von dem dringenden Bedürfnis geprägt „alles“ richtig zu machen, dem kleinen Menschen etwas zu bieten und ihn perfekt auf ein Leben als Erwachsener vorzubereiten. So dringend ist dieses Bedürfnis und so intensiv das Streben, diese Ziele zu erreichen, dass der Augenblick oft gänzlich verloren geht. Manchmal auch gar nicht mehr sein darf, weil es dem Empfinden nach oft „zu wenig“ an Förderung und Angebot ist, einfach nur in der Sonne zu sitzen und sie sich auf die Nasenspitze scheinen zu lassen. Oder einfach mal nur den Tag Tag sein zu lassen und so vor sich hin zu leben, sich treiben zu lassen von den Dingen, die gerade oberste Priorität haben, auch wenn es sich dabei „nur“ darum handelt, einer kleinen Schnecke dabei zuzuschauen, wie sie ein Stück Apfel frisst.
Pädagogisch wertvoll das neue Zauberwort. Alles muss pädagogisch wertvoll sein. Alles muss irgendeinen offensichtlichen Zweck erfüllen und irgendeiner Fähigkeit dienlich sein. Dabei ist genau dieses im Augenblick verweilen im Grunde das Wertvollste, was wir unseren Töchtern und Söhnen geben können. Dieses Sein dürfen. Ohne Zweck. Ohne Hintergedanken. Ohne Absicht von Förderung.
Denn je verbissener wir darauf bedacht sind, irgendeinen Lerneffekt beim kleinen Menschen heraufzubeschwören oder irgendeinen Lernprozess ins Rollen zu bringen, desto mehr Druck werden wir aufbauen und desto wahrscheinlicher ist es, dass wir den kleinen Menschen in seinen Entwicklungen und Interessen blockieren und einschränken.
Weniger ist mehr, bedeutet im Grunde Loszulassen. Es bedeutet keinen Gedanken an Maßstäbe oder Richtlinien zu verschwenden (was natürlich nicht leicht ist, wenn man in diesem System aufgewachsen ist) sondern diesen kleinen, bewussten Schritt beiseite zu machen, zu vertrauen und offen dafür zu sein, was kommt.
Ja, manchmal entsteht der Eindruck von Stagnation oder das Gefühl, irgendwie zu wenig zu machen. Aber nicht alles ist offensichtlich. Nicht jede Entwicklung des kleinen Menschen lässt sich von außen erkennen. Wir können nicht wissen, was in den kleinen Menschen vorgeht. Wir können nicht wissen, welche Gedanken sie sich machen. Aber wir können davon ausgehen, dass sie mit offenen Augen und Ohren durchs Leben gehen, dass sie auf ihre Art und Weise beobachten, entdecken, ausprobieren, erfahren und sich aneignen. Wenn wir ihnen den Raum geben. Und das ist wahrscheinlich die größte Herausforderung, aber möglicherweise auch wichtigste Aufgabe für uns Eltern.

Erstmals veröffentlicht auf https://linilindmayer.com